29. März 2024

Honda VTR1000-Firestorm


Deftiger Musterknabe aus Nippon: Vor vier Jahren gab es ein enges Rennen um den ersten Supersport-Twin mit 1000 Kubikzentimetern Hubraum made in Japan. Knapp verlor Honda damals gegen Suzukis TL. Doch die gibt es mittlerweile überhaupt nicht mehr, und so heißt der Sieger letztlich doch VTR.

Honda VTR 1000 Firestorm fahren ist richtig grausam. Da prügelt man den großen Twin Runde um Runde die Hausstrecke rauf und runter, Knie- und Stiefelschleifer glimmen munter am Asphalt. In der Auslaufzone der Applauskurve spritzen die Zuseher jedes Mal auseinander, wenn die Firestorm über den schwitzenden Vorderreifen einradiert. Doch selbst bei maximaler Performance am Lenker scheint sich nicht wirklich jemand für dich und deine Honda zu interessieren. Mal sehen, was passiert, wenn man sich unters Volk mischt.

Bombige leistungsquelle
Aus dem Keller heraus greift der Motor schon bullig zu, in der Mitte wirft er gutgelaunt mit Drehmoment um sich, ohne dir damit weh zu tun, und oben ‘raus gibt es kurzzeitig richtig Leistung. Nur die ganz Harten mokieren sich über eine verhaltene Drehfreude auf dem Weg in den Begrenzer.

Insgesamt jedenfalls eine bombige Leistungsquelle für kernige Landpartien. Zudem schüttelt und brodelt der Vierventiler in diversen Drehzahlregionen so überzeugend, dass man meinen könnte, das Herz der Firestorm sei von italienischen Mechanikern und nicht von einem Montage-Roboter zusammengesetzt worden. Ein wirklich überzeugender Landstraßen-Twin. Stark, etwas ungehobelt und einfach prima zu dirigieren.
In schon selbstverständlicher Manier fügt sich das Fahrwerk in das Gesamtwerk Fahrmaschine ein. Die Lenkgeo-
metrie wurde so gekonnt gewählt, dass die Tausender stets beweglich und gleichzeitig stabil genug daher bollert. Zwar gibt es Bikes, die brutaler und schärfer einlenken, und andere, die wie einbetoniert ihre Linie halten, unterm Strich ist die VTR-Auslegung jedoch genau das richtige Maß für ihren Einsatzzweck.
Interessant ist natürlich wirklich, was die japanische Twin-Interpretation von den anderen Boliden unserer Geschichte unterscheidet.


Handschmeichler
Diese Frage lässt sich am besten frisch nach einer flotten Ausfahrt beantworten. Dann etwa, wenn man an einer Ampel hält und sich fragt, was eigentlich in den letzten fünf Minuten passiert ist. Buell-Fahrer erinnern sich, dass sie zweimal beim Hochschalten gescheitert sind, Guzzisten haben sich immer noch nicht an den grausamen Knieschluss gewöhnt, Ducati-Supersport-Fahrer massieren ihre Kupplungshand. Nur der Mann auf der Honda Firestorm kann sich an nichts mehr erinnern.
Es ist einfach die Bedienung, die der VTR eine Sonderstellung verleiht. Das beginnt bei der geschmeidigen Sitzposition, die dem Fahrer viel Übersicht und tolle Rückmeldung vom Material anbietet. Die Problemlosigkeit setzt sich über eine knackige Getriebeeinheit und eine fulminante Bremsanlage fort. Feines Anti

ppen führt zu feiner Verzögerung, und voller Zugriff zu voller Verzögerung. Garniert mit ideal liegenden Hebeleien und der neuen Instrumentierung bleiben während der Fahrt niemals Fragen offen.
Ins Grübeln kommt man dagegen spätestens alle 250 Kilometer. Dann nämlich, wenn der Tanknüffel 19 Liter Super in die VTR schießt. Anstatt den Verbrauch der Tausender zu reduzieren, entschloss man sich wenigstens, das Tankvolumen um drei Liter zu erhöhen. Nach wie vor verfeuert der Vierventiler selbst bei manierlicher Fahrweise immer sieben Liter Kraftstoff. Was hilft, ist der Sprung in die nächste Kurvenkombination.

Nix Anti-Perwoll
Von der nüchternen Seite aus betrachtet brilliert die VTR in nahezu jeder Baugruppe. Als Gesamtpaket bietet Honda hier beeindruckende Leistung, die auch noch von jedem, der schon mal Motorrad gefahren ist, nach Herzenslust ausgekostet werden kann. Trotz charakterbestärkendem Twin-Antrieb ist sie unterm Strich also eine echte Honda. Damit aber auch gleichzeitig wieder zu viel Honda für die Anti-Perwoll-Fraktion. Wer mehr auf fordernde Bedienung des Materials steht, kauft auch weiterhin keine VTR 1000 F, sondern bestellt lieber einen neuen Dichtsatz für die geliebte Le Mans im Keller.
Als Sportbike für den täglichen Gebrauch ist die VTR dennoch unschlagbar. Me

hr Nutzwert verbunden mit Kurvenperformance, angeschoben von zwei markigen Pötten gibt’s nicht. Und wenn man sich das genussvoll vor Augen hält, kehrt man auch vom nächsten Ausflug zur Applauskurve ohne Depressionen heim.

Technische Daten

Preis: 19.010 Mark
Leistung: 110 PS (81 kW) bei 9000/min. Maximales Drehmoment 96 Nm bei 7000/min. Auch mit 98 PS lieferbar
Motor: Viertakt-Zweizylinder-V-Motor, wassergekühlt, Zylinderwinkel 90 Grad. Vier Ventile pro Zylinder. Bohrung x Hub 98 x 66 mm, Hubraum 996 ccm, Verdichtung 9,4. Zwei Keihin-Gleichdruckvergaser, x 48 mm. Digitale Zündung. U-Kat. Elektrostarter. Sechsganggetriebe. Endantrieb über Dichtringkette
Fahrwerk: Brückenrahmen aus Leichtmetall. Vorn Telegabel, x 41 mm, Federweg 109 mm. Hinten Leichtmetallschwinge mit einem Federbein, Federweg 124 mm. Bereifung vorn 120/70 ZR 17, hinten 180/55 ZR 17. Vorn Doppelscheibenbremse, x 296 mm. Hinten Scheibenbremse, x 220 mm. Radstand 1430 mm, Sitzhöhe 820 mm, Tankinhalt 19 Liter

Kein showbike
Auch hier völlige Fehlanzeige. Keine neugierigen Blicke, keiner bestaunt die zerschrabbelte Firestorm, keine Autogrammwünsche. Voll irritiert musst du dann auch noch verfolgen, wie eine 916 mit offenen Tröten um die Ecke eiert, der Typ hockt mit poliertem Replica-Ornat verkrampft obendrauf – er weiß wirklich nichts – und doch wird der Ahnungslose gefeiert, als sei König Foggy persönlich auf der Durchreise.

Maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen, war also nicht das Ziel der japanischen Entwickler, als sie 1997 mit der VTR von der Vier- auf die Zweizylinderschiene hüpften. Wie es sich für eine Honda gehört, steht die Fahrbarkeit klar an erster Stelle. Wer die VTR schon mal bewegt hat, der glaubt dir deine wilden Geschichten sowieso nicht. Der weiß genau, dass sich 110 PS aus zweimal 500 Kubikzentimetern nicht spielerischer einsetzen lassen